12. Mai 2022 – Gesetzes zur Änderung des BAföG (27. BAföGÄndG)

16.05.2022

Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der berühmte Bildungsforscher und Gelehrte Erasmus von Rotterdam wusste: Nicht um zu studieren, leben wir, sondern wir studieren, um angenehm leben zu  können. 

Dass die Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das BAföG an die steigenden Lebenshaltungskosten anpasst, das ist beinahe selbstverständlich, damit Studium und in Erasmus’ Sinn ein angenehmes Leben weiter
Wirklichkeit bleiben können, gerade auch für die jungen Menschen. Das ist richtig und findet selbstverständlich die Unterstützung unserer Fraktion.

Aber, Frau Gohlke, wir alle hier tun unser Möglichstes und wollen Bildungsaufstiege ermöglichen. Was mich wundert, ist, dass Sie, die schon so lange im Bildungsausschuss sitzen, vergessen konnten, dass zurückliegende
BAföG-Reformen, zum Beispiel die von 2019, deutlich mutiger ausgefallen sind als der kleine Wurf heute hier. 

Damals haben wir 30 Prozent Wohnzuschlag ermöglicht, heute sind es 10 Prozent, damals 13 Prozent mehr für Kinderbetreuung, heute nur 5 Prozent. Ich glaube, es gehört zur Redlichkeit dazu, dass man auch die vergangenen Jahre ehrlich einpreist. Dass die jetzige Koalition, die Ampelkoalition, gleichzeitig beim Entlastungspaket die Studierenden prompt leer ausgehen lässt, muss einen an der Ernsthaftigkeit auch dieser Übung doch ein wenig zweifeln lassen.

Der Zweifel wird umso größer, wenn man sich vor Augen führt – es ist hier bereits angeklungen –, dass die Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur den geringsten Teil einer im Koalitionsvertrag jedenfalls vollmundig angekündigten großen BAföG-Reform umsetzt. Die schwierigen Schritte – eine strukturelle Reform der Ausbildungsförderung – werden also vorsichtshalber auf später verschoben. Für dieses Verhalten habe ich eine sehr nette, schöne Erklärung just auf der Seite der Studienberatung der Freien Universität gefunden. Dort hieß es: Der Ausdruck „Prokrastination“ bezieht sich darauf, als dringend und notwendig betrachtete Aufgaben
aufzuschieben und stattdessen etwas anderes, von geringerer Priorität und weniger Essenzielles zu machen. Für diese Handlung finden Personen typischerweise Entschuldigungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das BAföG und damit die soziale Säule im Hochschulsystem unseres Landes zu stärken, ist natürlich richtig. Es wäre aber fatal, wenn sich darin der Anspruch dieser Koalition für eine
kluge Bildungspolitik bereits erschöpfen würde. Denn eine Frage bleibt auch nach einem halben Jahr Ampelkoalition bisher in der Bildung unbeantwortet: Hat die Koalition den jungen Menschen an unseren Hochschulen
mehr zu bieten als die reine Erhöhung der Sozialleistungen? Frau Seitzl, auch Sie haben es eben angemahnt; vielleicht kennen Sie die Antwort.

Was tut die Ampel für die unzähligen bildungshungrigen jungen Menschen an unseren Hochschulen, die leistungsstark und leistungsbereit sind, für jene also, die im besten Sinne Erasmus’ Leistungsethos folgen wollen? Ich
kenne jedenfalls viele Studierende, die beides erwarten und möchten: sozial abgesichert sein und ihren Ehrgeiz unter Beweis stellen.

Zu den großen Aufgaben unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems gehört jedenfalls nicht nur, Chancengerechtigkeit herzustellen, sondern es gewinnt seine Legitimation gerade auch durch die ausdrückliche Förderung
von Talent, Begabung und Leistungsbereitschaft. Auch hier vermissen wir entschlossene Impulse. 

Deshalb muss sich diese Koalition sowohl im Hinblick auf eine vollständige BAföG-Reform als auch auf die Begabtenförderung Erasmus’ kritische Frage gefallen lassen: Wie viele Male schaut der Wille durch’s Fenster, ehe die Tat durch’s Tor geht?

Vielen Dank.