Auf den Spuren Berliner Stadt- und Weltgeschichte - entlang des Mauer-Radwegs

13.08.2022

In diesem Sommer habe ich mit meiner Schwester den Berliner Mauer-Radweg erkundet – und in einigen Tagen die 180 km lange Strecke intensiver kennengelernt, über die West-Berlin eingemauert war.
Es war ein eindrucksvolles Erlebnis aus zwei Gründen: Zum einen fährt man sowohl durch schöne Orte, zum anderen überwiegend durch die Natur – die hässliche Mauer durchschnitt Städte, Wälder und Landschaften. Für eine Fahrradtour ist das heute natürlich eine tolle und lohnende Strecke.


Stets im Hinterkopf erinnert man sich an die Schicksale, die dieses Freiheit und Menschen verachtende Mauerwerk hervorrief, das eben auch viele Lebenswege und  Biographien durchschnitt. Wir erinnern uns an jene junge Frau,  die 1980 (!) auf der Flucht erschossen wurde; sie war nicht die einzige Frau neben vielen meist noch sehr jungen Männern, die wir gesehen haben und die wir nie vergessen dürfen. Angrenzend an die sog. „Invalidensiedlung“ in Reinickendorf, wo das freiheitsliebende junge Mädchen erschossen wurde, forderte diese Mauer über ihre lange Strecke in 28 Jahren viel zu viele Opfer.
Auf Schritt und Tritt wird man entlang des Mauer-Radweges daran erinnert, was sich am Eisernen Vorhangs für menschliche Tragödien ereignet haben – wie viele, vor allem sehr junge, Menschen beim Versuch, in die Freiheit zu gelangen, auf der Flucht ihr Leben ließen.


Wir dürfen diese Opfer niemals vergessen! Der Kampf für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hört nie auf. Wir müssen auch heute unser freiheitliches Deutschland gegen neue Demokratieverächter verteidigen. Das lernt man auch auf dem Mauerweg, der mit etwa 900 Schildern sehr gut erfahrbar ist.


Meine Schwester und ich  starteten über den bereits fahrradfreundlich ausgebauten Abschnitt an der Oder-Havel-Kanal-Brücke, von wo aus wir zur Landesgrenze fuhren und folgten dort dem Grenzverlauf. Danach ging es durch die Invalidensiedlung auf den ehemaligen West-Berliner Zollweg und danach in den Kolonnenweg am „Turm Deutsche Waldjugend“ vorbei. Weil ihn der Verband „Deutsche Waldjugend“ vor dem Abriss bewahrt hat, gehört er zu den wenigen Wachtürmen, die noch heute erhalten sind. 


Danach radelten wir auf einem Abschnitt mit Kopfsteinpflaster und erreichten schließlich die Oranienburger Chaussee. Westlich von ihr hat sich einmal der Grenzstreifen befunden, weshalb die Straße von der DDR angeblich aus „Sicherheitsgründen“ eingeebnet worden war. Auf der (West-)Berliner Seite ist der Radweg dagegen hügelig - bis hin zum berühmten „Entenschnabel“, ein Zipfel des ehemaligen DDR-Gebiets, der auf kuriose Weise nach West-Berlin hineinragte und fast vollständig von der Mauer umgeben war.


Die 180 Km um das damalige Westberlin herum haben wir über einige Tage verteilt und Berlin einmal aus anderer als der alltäglichen Perspektive erlebt 
Die Selbstverständlichkeit, mit der meine Schwester und ich inmitten grüner Natur radelten, steht im krassen Widerspruch zu den historischen Ereignissen, die sich an dieser innerdeutschen Grenze zwischen 1961 und 1989 ereigneten. Wo sich heute Naturleben und Großstadttrubel verbinden und sich der Mauerweg auch aus touristischer Perspektive um einen Teil unseres Berlins entlang streckt, bahnten sich einst brutal Beton und militärische Grenzposten den Weg, um zu teilen, was aus politischen Gründen nicht zusammen gehören durfte.


Wenn man wachen Auges fährt, ist man ergriffen von den Schicksalen und Biographien der Opfer, die und auf Infostelen begleiten und einmal mehr wachrütteln. Unsere persönlichen Freiheiten und die Freiheit als höchstes Schutzgut einer Gesellschaft begreift man nach einer solchen Reise immer wieder aufs Neue.

Monika Grütters