LESETIPP: "Leben mit den Göttern" von Neil MacGregor

Als Kulturstaatsministerin habe ich die wunderbare Aufgabe, die politischen Rahmenbedingungen so mitgestalten zu dürfen, dass Kunst und Kultur sich entfalten können.
Die Fragen, welche Bedeutung Kunst und Kultur, aber auch Spiritualität für die Gesellschaft haben, wie sie Identität und Sinn stiften, beschäftigt mich dabei stets. Was bedeutet es, wenn eine Gemeinschaft mit einem Gott, mit Göttern umgeht, und wie wird die Gemeinschaft dadurch gestärkt? Was bedeutet er für die Gesellschaft, der Glaube?
Das opulente Buch „Leben mit den Göttern“ von Neil MacGregor ist eine bereichernde Lektüre, die mit viel Weitsicht dabei hilft, auf diese Fragen aus anderen Perspektiven als den gewohnten zu blicken.
Das Buch nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise durch die Welt der Götter und Religionen. Von der Arktis bis Indien, von Mexiko bis Japan, vom antiken Rom bis zum Afrika der Gegenwart erzählt es anhand von Objekten, wie religiöse Überzeugungen das Leben von Gemeinschaften, das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat und unser Bild von uns selbst prägen.
Dabei geht es in ihm vor allem um das Leben, weniger um die Götter als solche. Es geht um ein Narrativ der Gesellschaft, ein Narrativ, das Hoffnung für die Zukunft gibt. Solche Narrative sind in der Geschichte und auch heute für die meisten Leute der Welt religiöse Narrative.

Die Geschichte unserer Vorfahren ist auch unsere Geschichte. Wer in dem Buch liest, erfährt viel über sich selbst. Denn mit der Entscheidung, wie wir mit unseren Göttern leben wollen, entscheiden wir auch, wie wir miteinander leben. Für jeden, der sich für Kunst und Kultur interessiert, ist das Buch eine doppelte Bereicherung. Und wer sich mit dem Glauben beschäftigt, profitiert dreifach von dieser Schatzkammer. Da ich gläubige Katholikin bin und mir die Auseinandersetzung mit Religion sehr viel bedeutet, wurde ich beim Lesen dreifach, nein vierfach beschenkt!
Dabei ist das Buch kein Plädoyer für die Religion, sondern vielmehr ein Versuch zu verstehen, warum für die meisten Leute in der Welt die Religion so wichtig ist. „Wenn wir mit anderen Menschen auf angemessene Art zusammenleben, wenn wir miteinander leben, dann sind wir dem Himmel am nächsten“, wie Neil MacGregor schreibt.  Ein Stückchen Himmel auf Erden erlebt man beim Lesen dieses wunderbaren Buches.

„Leben mit den Göttern“ ist 2018 bei C.H. Beck erschienen.