Der Berliner Schriftsteller Ralph Rothmann beschreibt in seinem neuen Roman „Im Frühling sterben“ den Sadismus der letzten Kriegstage 1945 in Ungarn. Dabei verknüpft er die tragische Geschichte einer Freundschaft zweier jugendlicher Soldaten mit seiner eigenen Familiengeschichte.
Walter Urban und Friedrich Caroli, genannt „Fiete“, sind zwei siebzehnjährige Melker aus Schleswig-Holstein, die ihr Leben mit Humor nehmen und darüber scherzen, dass die Milchproduktion kriegswichtig sei. Eines Tages geraten sie in eine Fete der Landjugend, die sich schnell als Zwangsrekrutierungsveranstaltung der Waffen-SS entpuppt. Der moralische Gesellschaftsdruck zwingt zum Unterschreiben.
Walter wird in einer Transporteinheit für ein Exekutionskommando in Ungarn eingesetzt und verliert seinen Freund zunächst aus den Augen. Dort droht der Vormarsch der Russen, es werden Phosphorbomben geworfen und Defaitisten aufgehängt, ab und zu sieht er Juden auf dem Todesmarsch vorbeiziehen. So wird er Zeuge von Kriegsverbrechen und der inneren Zerrissenheit vieler Soldaten, die dem Vorgesetzten Treue zeigen müssen und zeitgleich keine Kraft mehr in einen aussichtslosen Krieg investieren wollen. Walter wird den Friedenszustand bis zu seinem Lebensende nicht mehr begreifen können.
Tatsächlich verarbeitet Rothmann In Walters Figur die Erlebnisse seines Vaters, der sein Leben lang an deren schwerer Last zu tragen hatte. Die Handlung kulminiert in der Desertation Fietes, der schwer verletzt wieder an die Front geschickt werden soll. Er wird gefasst und zum Tode verurteilt. Auf einmal stehen sich die beiden Freunde aus Norddeutschland wieder gegenüber, diesmal in den Rollen der grausamen Befehlsgewalt und des wehrlosen Opfers. Wie wird Walter mit dem zynischen Auftrag der Exekution seines besten Freundes umgehen? »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.« - Der Autor befasst sich letztendlich auch mit der tiefgreifenden Frage nach Kriegstraumata, die über mehrere Generationen wirken können und ein seelisches Erfahrungskontinuum hervorrufen. So stellt er gekonnt eine Verbindung zur Gegenwart her.
In suggestiven und surrealen Bildern, untermalt von symbolischen Leitmotiven wie jenes der Vögel, hat Rothmann ein historisch prominentes Thema auf atemberaubende Weise neu aufgegriffen. Sein ernster und fesselnder Roman ist für einsame, konzentrierte Stunden geeignet. Er sollte ein breites Publikum finden, „Im Frühling sterben“ ist eindringlicher als so manche Geschichtsstunde
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